FAZ Dienstag, 14. Dezember 1999, Nr. 291, Seite T 6
Ein Lautsprecher wider alle Konventionen
Tiefe Bässe aus leichten Aluminium-Gehäusen / Kühne Konzeption,
überzeugende akustische Resultate
Im Lautsprecherbau gilt eine Reihe von ungeschriebenen Gesetzen, die jeder Konstrukteur sofort unterschreiben würde. Nur Norbert Schäfer nicht. Dabei sind sie doch so plausibel. Etwa: Lautsprecher, die tiefe Bässe mit anständigem Volumen wiedergeben sollen, brauchen sperrige, großkalibrige Gehäuse. Wer wollte da widersprechen? Und: Die Gehäusewände müssen aus schweren, den Schall absorbierenden Materialien bestehen. Dass dabei oft unhandliche Tonmöbel entstehen, lässt sich nun mal nicht ändern. Ein anderer Grundsatz: Tiefe Bassgewalt erzeugt man entweder mit großen Membranen, und wenn das nicht geht, nimmt man einfach kleinere und lässt sie entsprechend kräftiger schwingen. Das funktioniert doch tadellos, etwa nicht? Weiter: Der Übertragungsbereich eines Tieftonlautsprechers liegt immer oberhalb seiner Resonanzfrequenz. Natürlich, anders geht es ja gar nicht. Und schließlich: Lautsprecher sind entweder schön oder gut. Meist jedenfalls.
Das alles ist von vorn bis hinten Unsinn, sagt Schäfer, und er tritt auch gleich den Gegenbeweis an: mit einer High-End-Lautsprecheranlage, die so ziemlich alles auf den Kopf stellt, was in der Lautsprechertheorie bisher den Ton angab, und die mit ihren schimmernden Flächen aus Edelstahl und Aluminium so toll aussieht, dass sie nach aller Erfahrung eigentlich schon deshalb im Verdacht stehen müsste, ihren akustischen Job zu vernachlässigen.
Schäfers Vorstoß ins Unkonventionelle hat eine lange Tradition: Seit einem Vierteljahrhundert baut der Württemberger Einzelkämpfer Lautsprecher - allerdings nie in gigantischen Serien, sondern stets für eine überschaubare Gemeinde von HiFi-Gourmets. Anfangs experimentierte er mit mächtigen Horn-Wandlern aus Beton, später befasste er sich mit schlanken Flächenlautsprechern und legte damit den Grundstein zu seinem jüngsten, Largo genannten Konstrukt, das er unter seinem Markennamen Translife für einen Kundenkreis bekennender Genießer in purer Handarbeit fertigt.
Das komplette Ensemble besteht aus zwei ultraschlanken, mannshohen Säulen für den Mittel-Hochtonbereich, zwei nur 7 Zentimeter tiefen Basslautsprechern und einer passenden Frequenzweiche. Die beiden Bassisten, knapp 170 Zentimeter hoch und 22 Zentimeter schmal, bringen gerade mal 27 Kilogramm auf die Waage, nur so viel Gewicht, dass man sie notfalls noch unter den Arm klemmen könnte. Kein Wunder: Ihr Gehäuse besteht aus Aluminium-Profilen, einem Werkstoff, der normalerweise im Tiefton-Bau striktes Hausverbot hat. In Schäfers Bassboxen aber darf der Stoff glänzen, denn die flachen Gehäuse haben nur so kleine Flächen, dass ihre Eigenresonanz-Frequenzen weit über dem Übertragungsbereich der Tieftöner liegen und deshalb gar nicht erst angeregt werden können. Die verblüffend kompakten Gehäuse erlaubt sich Schäfer deshalb, weil er kein großes Luftvolumen braucht, um die Resonanz der kompletten Basseinheit auf einen Wert am unteren Ende der Frequenzskala zu drücken. Praktisch alle anderen Lautsprecherkonstrukteure halten diesen Kunstgriff für unentbehrlich, um den Tieftönern auf diese Weise im untersten Bassbereich Schalldruck fördernde Unterstützung zukommen zu lassen. Andernfalls blieben die Membranen in den untersten Frequenzregionen allzu kleinlaut. Schäfer dagegen legt die Resonanz seiner Basslautsprecher auf einen theoretischen Wert von rund 1300 Hertz - theoretisch deshalb, weil die eingebauten Chassis überhaupt nur bis 120 Hertz arbeiten. Alle höheren Schwingungen schneidet die Frequenzweiche ab. Die fehlende Unterstützung am unteren Ende des Tonspektrums kompensiert Schäfer einfach mit einem ziemlich gewaltigen Aufgebot an Membranfläche: In jedem Bassgehäuse sitzen acht Tieftöner aus eigener Konstruktion, die jeweils eine 400 Quadratzentimeter große, völlig plane Membran aus einem Zellulose-Hartschaum-Sandwich schwingen lassen. Als Motor dienen ihnen die größten Schwingspulen der Welt: Ihr Durchmesser beträgt stolze 13 Zentimeter. Die Flachmembranen bewegen so viel Luft, dass die Gehäuse Ausgleichsöffnungen brauchen. Die funktionieren aber nicht nach dem Bassreflex-Prinzip, das die ins Gehäuseinnere abgestrahlten Schallanteile akustisch nutzbar macht. Hier tritt die Luft einfach in Form von Wind nach außen - mit so hoher Geschwindigkeit, dass ihre Schallenergie stark absorbiert wird und keinen nennenswerten Beitrag zur Wiedergebe leistet, den Klang also weder fördert noch stört.
Schäfers Faible für große Membranflächen speist sich nicht allein aus seiner Vorliebe für ästhetische Bauformen, sondern auch aus einer ziemlich exklusiven Erkenntnis. Alle Lehrbuchweisheit geht davon aus, dass sich der Luftdruck vor der Lautsprechermembran erhöht, sobald sie nach außen schwingt. Erstaunlich eigentlich, denn man kann mit ganz einfachen messtechnischen Experimenten nachweisen, dass das Gegenteil der Fall ist: Die Beschleunigung, die die Luft erfährt, sorgt für ihre Verdünnung, also für abnehmenden Druck. Gleichzeitig verringert die nach vorn schnellende Membran kurzzeitig das Volumen in ihrer unmittelbaren Nähe.
Hier sieht Schäfer zwei tendenziell widerstreitende Wirkungszusammenhänge, vergleichbar einem Fahrzeug, dessen Vorderräder nach vorn wollen, während die Hinterräder im Rückwärtsgang rotieren. Er zieht daraus den Schluss, dass ein Lautsprecher mit großer Membranfläche, der bereits mit geringen Auslenkungen hohen Schalldruck erzielen kann, in jedem Fall einer Konstruktion vorzuziehen ist, die eine kleine Membran in weiten Bewegungen schwingen lässt. Dass dies so ist, finden auch andere Theoretiker - mit eher konventionellen Begründungen. Die weit auslenkende Membran, sagen sie, bewegt sich nur auf einem Bruchteil ihres Wegs linear, also exakt dem elektrischen Tonsignal entsprechend. Heftig schuftende Kleinbässe produzieren deshalb grundsätzlich die größeren Verzerrungen.
Zurück zum Produkt. Die Basseinheiten der Largo haben neben ihrer fast zarten Gestalt noch einen weiteren, beachtlichen Vorzug: Sie enthalten sich jener dröhnenden Dreingaben, die sich gern durch das Mauerwerk fortpflanzen und die Nachbarn nicht immer erfreuen. Die Largo-Bässe hört man auf der anderen Seite der Wand nur dann, wenn die Musik insgesamt durchdringende Lautstärke erreicht. Das ist ein willkommenes Begleitphänomen jener besonderen Arbeitsweise, die auf Resonanzunterstützung im Tiefbassbereich gänzlich verzichtet.
Den Hoch- und den Mitteltonbereich delegiert Schäfer an die beiden separaten Klangsäulen mit ihren halbrunden Gehäusen aus Edelstahlblech, die im Inneren mit diagonalen Streben versteift sind. Auf den aus Holz gefertigten Schallwänden sitzen je neun Hochtöner, die mit Folien-Membranen aus Schäfers eigener Konstruktion und Fertigung arbeiten. Daneben verrichten je 16 übereinander montierte Konus-Mitteltöner ihren Dienst.
Die klanglichen Leistungen der Largo-Lautsprecher sind ebenso beeindruckend wie ihre äußere Gestalt und ihre technische Konzeption. Es gibt nur wenige Schallwandler, die tiefe Bässe mit einer solchen Mühelosigkeit, einer solchen unaufdringlichen Kraft und einer solchen Präzision im Hörraum entfalten. Heftigen Schlagzeugattacken folgen die flachen Largo-Membranen mit ungeahnter Schnelligkeit und werksgerechtem Biss, gestrichene Kontrabässe knurren mit tiefschwarzem Volumen. Auf ähnlich hohem Niveau spielen die Säulen für den Mittel-Hochtonbereich: Feine Obertöne geben sich luftig und schwerelos, Stimmen und Instrumente haben kräftige, natürliche Klangfarben, und auch in der räumlichen Abbildung der Musik setzen die schmalen Lautsprecher, begünstigt durch ihre schmale Bauweise, einfach Maßstäbe.
Das alles ist natürlich nicht für ein Nasenwasser zu haben, doch mit einem Preis von 32 000 Mark für alle vier Elemente zusammen - einschließlich der zugehörigen Frequenzweiche - liegt das Angebot durchaus nicht über dem in dieser Klasse üblichen Niveau.